So queerfeindlich ist das Wahlprogramm der AfD

Die AfD zieht mit einem Programm namens „Deutschland, aber normal“ in den Bundestagswahlkampf. Das Bündnis Vielfalt für Alle hat sich angeschaut, welche „Normalität“ damit gemeint ist – und was diese genau für queere Menschen bedeuten würde. Die wenig überraschende Erkenntnis: Nichts Gutes. Hinter den teilweise harmlos klingenden Formulierungen versteckt sich eine klare Kampfansage an die Vielfalt von Geschlecht und sexueller Orientierung. Vier Beispiele:

1.

„Die AfD bekennt sich zur Familie als Keimzelle unserer Gesellschaft. Sie besteht aus Vater, Mutter und Kindern. […] Von linksgrüner Seite jedoch wird die Institution Familie aus ideologischer Motivation heraus diskreditiert, um sie durch andere Leitbilder zu ersetzen.“ (AfD-Wahlprogramm S. 104)

Regenbogenfamilien scheinen für die AfD entweder nicht zu existieren oder nicht erwünscht zu sein. Sie sind aber schon lange Teil gesellschaftlicher Realität. Absurderweise wirft die AfD ihren politischen Gegnern „Ideologie“ vor. Tatsächlich aber ist sie es selbst, die ideologisch handelt, da sie sich nicht an Fakten und Argumenten orientiert, sondern ein realitätsfernes und rückwärts gewandtes Familienideal fordert.

2.

„Politische Ideologien, wie z. B. Genderwahn und Klimahysterie, werden den Kindern heute schon im Vorschulalter nähergebracht. […] Häufig wird die politische Beeinflussung von einer Frühsexualisierung im Sinne „diverser“ Geschlechterrollen begleitet. Die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ versucht, Kinder in Bezug auf ihre sexuelle Identität zu verunsichern und Geschlechterrollen aufzulösen. Sie werden dadurch massiv in ihrer Entwicklung gestört.“ (AfD-Wahlprogramm S. 113 – 114)

Die AfD verunglimpft altersgerechte Aufklärung über Geschlecht und die Vielfalt von Beziehungen pauschal als „politische Ideologie“. Für angebliche Entwicklungsstörungen wird kein Beleg geliefert. Stattdessen wird durch die Verwendung rechter Kampfbegriffe wie „Frühsexualisierung“ die Legende vom „Dildokoffer“ weitergesponnen. Zutreffend ist das Gegenteil: Aufklärung schützt nachweislich vor Missbrauch und beugt Diskriminierung vor.

3.

„Das Geschlecht wird durch die Geschlechtschromosomen bestimmt. Wir sehen es kritisch, dass „Geschlechtsumwandlungen“ zunehmend bagatellisiert werden. Geschlechtsumwandlungen bei Kindern und Jugendlichen lehnen wir ab.“ (AfD-Wahlprogramm S. 115)

Die AfD widerspricht hier wissenschaftlichen Erkenntnissen. Hormone, Rezeptorik, Genetik, Epigenetik und neuro-physiologische Aspekte sowie alle weiteren Faktoren des Geschlechts werden von der AfD ignoriert. „Geschlecht“ wird eben nicht allein durch die Geschlechtschromosomen bestimmt. Unter dem Vorwand des Kinderschutzes wird Desinformation über trans* Menschen und ihre Bedarfe verbreitet. Das AfD-Wahlprogramm impliziert, dass Kinder und Jugendliche ohne Weiteres körperangleichende Maßnahmen durchführen lassen können. Dies ist schlicht unwahr.

4.

„Behauptungen der Gender-Ideologie stehen im Widerspruch zu Erkenntnissen der Biologie. Alle Fördermittel für die auf der Gender-Ideologie beruhende Lehre und Forschung sind zu streichen. Politisch korrekte Sprachvorgaben zur Durchsetzung der Gender-Ideologie lehnen wir ab. Gleichstellungsbeauftragte sind abzuschaffen.“ (AfD-Wahlprogramm S. 154)

Alles, was nicht der beschränkten Auffassung der AfD von Geschlecht (s. Punkt 3) entspricht, wird pauschal als Ideologie verunglimpft. Eine Wissenschaft, die Geschlechterverhältnisse untersucht und kritisch hinterfragt, ist von der AfD ebenso wenig gewünscht wie eine geschlechtergerechte Sprache. Auch hier ist es also die AfD und nicht ihre Gegner*innen, die ideologisch handelt, indem sie gegen wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Realitäten stemmt, um ihr eigenes, verengtes Menschen- und Gesellschaftsbild durchzusetzen.

Zusammenfassung:

Die AfD verfolgt dieselben Ziele wie Orbán in Ungarn, Kaczyński in Polen und Putin in Russland: Es wird eine Verschwörungsgeschichte erfunden, in der queere Menschen die Familie, die Tradition, den „gesunden Volkskörper“ und somit die Nation bedrohen. Insbesondere wird hierfür das Argument „Kinderschutz“ als Vorwand genutzt und mit Desinformation, Vorurteilen sowie mit Unwahrheiten agiert. Der Aufbau von Hass auf eine Minderheit dient dem Verschleiern des Umbaus einer demokratischen Gesellschaft in ein autoritäres, totalitäres und radikal-religiöses Regime.

In Deutschland wurde diese Methode von den Nationalsozialisten mit dem Erfinden einer angeblichen „jüdischen Weltverschwörung“ perfektioniert. Nun sind queere und insbesondere trans* Personen die Zielgruppe. Worte wie „Genderideologie“, „Transhype“, „Zerstörung der Familie“, „Auflösung der natürlichen Verhältnisse“ (sprich „Widernatürlichkeit“) und natürlich das Nutzen des Scham- und Tabuthemas „Sexualität“ sind nur einige der Mittel. Natürlichkeit, Reinheit und Tradition waren schon immer gern genutzte Bilder von Faschisten, um die Angst vor „dem Anderen“ aufzustacheln und so vom Angriff auf die Demokratie abzulenken.

In Russland, Ungarn und Polen können wir hautnah miterleben, wie diese faschistoide und radikal-religiöse Politik real umgesetzt wird: Unsichtbarmachung, Kriminalisierung, Sprechverbot, massive Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, Umschreibung von Traditionen zu „natürlichen“ Phänomenen, Gewaltduldung sowie Bagatellisierung und Förderung von Gewalttaten.

Wer AfD wählt, will genau das: Eine „Normalität“ mit Hass und Hetze, Ausgrenzung und Diskriminierung, mit autoritärer Gewalt.

Wir wollen eine andere Normalität! Wir wollen eine Normalität, in der die Vielfalt von Geschlecht, Geschlechtsausdruck, von sexueller und romantischer Orientierung als Reichtum empfunden wird und nicht als Bedrohung. Eine Normalität, in der Wissenschaft, Gleichberechtigung und Demokratie nicht verunglimpft, sondern gefördert werden. Eine Normalität, in der jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit wertgeschätzt wird und sein Leben sicher und frei von Diskriminierung entfalten kann.

Keine Stimme der Queerfeindlichkeit!

Bündnis Vielfalt für Alle, 21. August 2021

Wahlentscheidungshilfen im Internet:

Wahlswiper: https://www.voteswiper.org/de/deutschland (ab 20. August 2021)

Wahl-O-Mat: https://www.bpb.de/politik/wahlen/wahl-o-mat/ (ab 2. September 2021)